Fuge XXI, B-dur, BWV 866
aus: Das Wohltemperierte Klavier, Band 1
von Johann Sebastian Bach
Diese heitere Fuge ist dreistimmig und steht in B-dur.
Neben der Exposition (T.1 - T.17, 1. Sechzehntel) hat sie zwei weitere Durchführungen (T. 22, 2. Sechzehntel - T.30, 1. Sechzehntel und T.37, 2.Sechzehnel - T.45, 1. Sechzehntel) und zwei Zwischenspiele (T.19, 2. Sechzehntel - T.22, 1. Sechzehntel und T.30, 2. Sechzehntel - T 35, 1. Sechzehntel). Außerdem sind drei jeweils zwei Takte umfassende "Einschübe" zu finden: Eine Art Überleitung zwischen der Exposition und dem ersten Zwischenspiel (T.17, 2. Sechzehntel - T.19, 1. Sechzehntel), eine "angetäuschte" Durchführung zwischen dem 2. Zwischenspiel und der 3. Durchführung (T.35, 2. Sechzehntel - T.37, 1. Sechzehntel) und eine Coda ab T.45, 2. Sechzehntel. Auf eine Engführung hat Bach in dieser Fuge verzichtet, sie ist mit diesem Thema nicht möglich.
Exposition (T.1 - T.17, 1. Sechzehntel):
In der Reihenfolge Oberstimme - Mittelstimme - Bass setzen Dux (ROT) und Comes (GRÜN) abwechselnd ein.
Der Comes beantwortet den Themeneinsatz des Dux aus tonalen Gründen leicht abgewandelt, wie es einem Comes oft zu eigen ist (grüne eingekreiste Noten).
Diese Fuge hat zwei beibehaltene Contrasubjecte:
In T.13, 2. Achtel - T.17 2. Sechzehntel folgt ein vierter Themeneinsatz in der Oberstimme, als ob die Fuge vierstimmig wäre. Gäbe es nur drei Stimmeneinsätze, würde das zweite Contrasubject nicht als "beibehalten" wahrgenommen, da es nur einmal erklänge.
Nach diesem vierten Themeneinsatz werden die letzten beiden Takte eine Tonstufe höher sequenziert (blaue Einrahmung), wobei Mittelstimme und Bass die Contrasubjecte tauschen. Damit leitet Bach in T.17, 2. Sechzehntel den Modulationsvorgang nach g-moll (Tp von B-dur) ein. Deshalb können die Takte 17 -18 schon zum 1. Zwischenspiel gehören, obwohl dieses den typischen Zwischenspielcharakter erst ab T.19 annimmt (blaues Feld). Genauso könnten die sequenzierenden Takte 17-18 auch als eine Art "Überleitung mit Modulationshilfe" zum eigentlichen Zwischenspiel ab T.18, 2. Sechzehntel aufgefasst werden.
Im Zwischenspiel werden im Bass die Umkehrung des Themenbeginns (Motiv a) und in der Oberstimme die Sechzehntelfigur des Themas (Motiv b) verwendet. Der typische Zwischenspielcharakter entsteht durch die Stimmenreduzierung auf zwei Stimmen (Oberstimme und Bass), und durch die Sequenzierung der Motivumkehrung a des Motivs b (T.20/21). Die Modulation ist in vollem Gange.
Abgeschlossen ist sie mit Einsetzen der 2. Durchführung in g-moll (T.22, 2. Sechzehntel). Der Dux des Themas erklingt jetzt in der Mittelstimme und wird in der Oberstimme vom 1. Contrasubject und im Bass vom 2. Contrasubject "flankiert". In T.26 bringt der Bass den Comes des Themas, allerdings nicht in der Dominante von g-moll, sondern in der Subdominante (c-moll). Dass es sich trotzdem um den Comes handelt, ist an der typischen tonalen Veränderung am Beginn dieses Themeneinsatzes zu erkennen (2. und 4. Bass-Achtel von T.26).
Das 2. Zwischenspiel beginnt in T.30, 2. Sechzehntel und umfasst diesmal fünf Takte. Der Modulationsvorgang von g-moll nach Es-dur (S von B-dur) beginnt. (Das entspricht dem 1. Zwischenspiel plus den diesem vorangeschickten zwei Überleitungstakten.) Entsprechend dem 1. Zwischenspiel wird mit den gleichen Elementen sequenziert, diesmal mit der Umkehrung des Motivs a in der Oberstimme und dem Motiv b im Bass. Diesmal steuert die Mittelstimme zur Unterstützung in jedem Sequenzabschnitt zwei Achtelnoten bei, es findet also keine Stimmenreduzierung statt. Das hat einen gewissen "Steigerungseffekt". Dieser steigert sich, indem in den beiden letzten Takten dieses Zwischenspiels (33/34) Motiv b vom Bass in die Oberstimme wechselt und die Motivumkehrung a von der Oberstimme in die Mittelstimme, wobei diese durch Austerzung der ersten vier Motivnoten im Bass verstärkt wird.
Eine weitere Steigerung entsteht durch das "Vortäuschen" eines weiteren Durchführungsbeginns: In der Mittelstimme erklingen die ersten zwei Takte der Comesversion des Themas in c-moll (Tp von Es-dur), begleitet von den entsprechenden Takten der beiden Contrasubjecte in den Außenstimmen (1. Contrasubject in der Oberstimme, 2. im Bass). Da das Thema nicht vollständig erklingt, geschieht der folgende Themeneinsatz im Sopran sozusagen "zu früh". So wird die Spannung erhöht.
Mit Einsetzen des Dux im Sopran in Es-dur ist die Modulation beendet und die 3. Durchführung beginnt (T.37, 2. Sechzehntel). Bach hat Es-dur gewählt, weil der Dominanteinsatz des Comes in der Mittelstimme (T.41, zweites Achtel) auf diese Weise in B-dur (D von Es-dur) erfolgt, womit wieder die Haupttonart der Fuge erreicht ist. Während Ober- und Mittelstimme sich mit dem Dux- bzw. Comes des Themas und dem 1. Contrasubject abwechseln, erklingt im Bass das 2. Contrasubject mit Varianten.
Ähnlich den Überleitungstakten 17/18 werden die letzten beiden Takte der Durchführung wiederholt, allerdings nicht sequenziert, sondern in der selben Tonstufe. Lediglich die Außenstimmen tauschen die Motive und die Mittelstimme oktaviert abwärts. Diese zwei Takte wirken zusammen mit des die Fuge abschließenden Kadenz (gelb) wie eine Coda.
Zusammenfassung:
Der Aufbau dieser Fuge ist sehr klar. Das Thema wird von den beiden anderen Stimmen immer mit den zwei beibehaltenen Contrasubjecten begleitet. Zwei sich entsprechende Zwischenspiele modulieren in die jeweils für die zwei weiteren Durchführungen angesteuerten Tonarten g-moll (Tp) und Es-dur (S). Die Spannung wird gesteigert durch die Verstärkung des 2. Zwischenspiels durch das Hinzufügen einer 3. Stimme im Vergleich zum 1. Zwischenspiel und durch das Vortäuschen des 3. Durchführungsbeginns. Die Coda lässt diese beschwingte Fuge ausschwingen.
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Weiteres Literaturbeispiel: